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Illustration auf der eine Person Bilder aus einem Tablet zieht

image+ platform for
open art education

16.10.2021

IMAGE+ Platform for Open Art Education. Strategien zu einer unabhängigen Infrastruktur für Forschung & Lehre

Text von Gürsoy Doğtaş, Marc-Paul Ibitz, Astrid Poyer, Charlotte Reuß

Andrian Kreye beschreibt die Bilddatenbank ‚Image-Net‘, ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Princeton und Stanford, in der Süddeutschen Zeitung wie folgt: Wenn Daten das neue Öl sind, ist Image-Net so etwas wie eine Raffinerie, die sämtliche Tank- stellen der Welt beliefert."1 Auch wenn sich der Vergleich mit fossilen Brennstoffen nicht mit unseren aktuellen Klimazielen und Vorstellungen von ökologischer Nachhaltigkeit deckt, die Metapher funktioniert: An einer Kunstuniversität sind Bilder die Grundlage für Wissensproduktion. Die Bilddatenbank IMAGE+ kann somit als entscheidendes Tool der nachhaltigen Rohstoffgewinnung und -produktion verstanden werden. In diesem Sinne ist IMAGE+ durch eine eigene universitätsinterne technische Infrastruktur jedoch unabhängig und läuft damit nicht Gefahr sich innerhalb eines kommerziell ausgerichteten Abhängigkeitsverhältnisses großer Tech-Unternehmen wiederzufinden.

Einleitung

„IMAGE+ Platform for Open Art Education“ ist eine österreichische Bild- und Bildforschungsplattform. Sie dient der qualitativen Verbesserung der Lehre und bietet ihren Nutzer*innen einen umfassenden Bestand an hochwertigen digitalen Bildreproduktionen künstlerischer Arbeiten. Die Abbildungen in IMAGE+ sind mit qualitativen Metadaten angereichert, die Werkinformati- onen wissenschaftlich gesichert. IMAGE+ steht Lehrenden und Studierenden an den teilnehmenden Universitäten und Forschungseinrichtungen zur Verfügung. Künstler*innen und Absolvent*innen der Kunstpädagogik können die Datenbank für ihre tägliche Arbeit ebenso verwenden und sich laufend fortbilden. Das Projekt ist an der Universität für angewandte Kunst Wien verankert und wird in Kooperation mit der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, der Universität Mozarteum Salzburg sowie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Dokumentationsplattform österreichischer Kunst basis wien realisiert.

Mit der Digitalisierung der institutseigenen Diathek werden ab 2008 die ersten Bemühungen unternommen das digitale Potenzial weiter in Lehre und Forschung zu integrieren. Auf die immer akuter werdende Frage nach der infrastrukturellen und technologischen Emanzipation, weg von proprietärer Software und Standards hat die Universität für angewandte Kunst 2019 mit dem Einrichten der hauseigenen Bilddatenbank reagiert. Die Möglichkeit zur Weiterentwicklung wurde 2020 vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (Digitale und soziale Transformation in der Hochschulbildung) gewährleistet.

Als Open Source-Software (OSS) entwickelt, basiert die Postgres-Datenbank auf Django und umfasst rund 18.000 digitale Bildreproduktionen künstlerischer Arbeiten. IMAGE+ ist in der Webapplikation Base Angewandte (base.uni-ak.ac.at) angesiedelt, der Schnittstelle zwischen Lehre, Forschung und Verwaltung der Universität für angewandte Kunst Wien. Bildgestützte Lehre und Forschung wird damit für alle Lehrenden, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen sowie Student*innen unterschiedlicher Studienrichtungen und Disziplinen zentral und gebündelt angeboten. Ein einfacher und niederschwelliger Zugang ist mittels Single Sign-on möglich. Die Bilddatenbank kann nicht nur zur einfachen Suche zu Recherchezwecken verwendet werden, es wird den Nutzer*innen auch das Erstellen von privaten Arbeitsmappen sowie ein rascher Export in automatisch beschriftete PowerPoint-Präsentationen ermöglicht. Diese und andere Funktionen können mit Hilfe der Softwareentwickler*innen des Base Angewandte-Teams unmittelbar und nach den eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen angepasst in die Datenbank implementiert werden. Dadurch können marktbasierte Systeme umgangen und etwaige Neuausrichtungen zusammen mit den Programmierer*innen umgesetzt werden, um zeitnah auf mögliche Bedürfnisse von Nutzer*innen zu reagieren und Änderungen einzufügen.

Auf drei Schwerpunkte des Projekts wird im Folgenden näher eingegangen.

1. Datenstruktur und Implementierung

Digitalisierungsinitiativen sind keine Neuheit mehr, mittlerweile werden solche Vorhaben jedoch systematischer angegangen und richten sich nach bestimmten Standards, um eine möglichst langfristige, effiziente Nutzbarkeit zu gewährleisten und Obsoleszenzen zu vermeiden. Wichtige Parameter und Orientierungspunkte sind Standards wie IIIF, Linked Open Data, das “data-only-once”2-Prinzip oder data sustainability, ebenso wie der Einbezug bereits bestehender Thesauri.

Wie bei jeder Umstellung oder Neuaufstellung eines Systems, stellen sich Fragen der Datenmigration und der Zuordenbarkeit von Datensätzen. Die Erweiterung der Datenbank um Metadatenfelder dient dazu, Anknüpfungspunkte mit Normdaten und kontrollierten Vokabularen herzustellen und damit wissenschaftliche Standards aufrechtzuerhalten. Neben der Verwendung der gemeinsamen Normdatei (GND) spielen Thesauri des Getty Research Institutes eine zentrale Rolle, hier vor allem der Arts and Architecture Thesaurus (AAT) und der Thesaurus of Geographic Names (TGN). Das große, bereitgestellte Angebot an Vokabularen des Getty Research Institutes hat dazu geführt, dass es eine breite Anwendung in Kunst- und Kultureinrichtungen findet. Gleichzeitig stellen diese Thesauri uns auch vor die große Herausforderung solche gegebenen Tools auch auf inhaltliche und funktionale Leerstellen und Problemfelder zu hinterfragen.3 Oftmals ist die Logik hinter so einem System von außen nur schwer erkenn- und nachvollziehbar. Ebenso hat sich in der Projektentwicklung die Frage gestellt, ob die Datensätze ikonographisch durch das Klassifizierungssystem Iconclass4 (erarbeitet vom Niederländischen Institut für Kunstgeschichte) aufgearbeitet werden sollen.

Während sich auf der einen Seite klar Vorteile zeigen – die inhaltliche Aufbereitung der Objekte, und damit auch eine effizientere Suchfunktion – liegen die Nachteile in den unterschiedlichen Schwerpunkten von Iconclass und IMAGE+, wodurch eine sinnvolle Erschließung nicht vollständig möglich ist.

Wie beim Getty Insitute stellt sich auch bei Iconclass die Frage, ob durch normierten Hierarchien diskriminatorische Strukturen unhinterfragt reproduziert werden.5 Aus diesem Grund wurde vorerst entschieden, von einer ikonographischen Erschließung abzusehen. Davon abgesehen ermöglichen kontrollierte Vokabulare eine systematische Erfassung und damit eine Aufbereitung, die es den Benutzer*innen ermöglicht eine produktive Recherche durchzuführen. Neben der Anreicherung der Datensätze mit Normdaten bestehen zudem Bestrebungen, das vorhandene Bildmaterial, dessen Nachweisquellen oftmals Publikationen darstellen, mit Ressourcen der Universitätsbibliothek zu verknüpfen. Durch solche Schnittstellen können Synergien unterschiedlicher Recherchepools hergestellt und der explorative Charakter verdeutlicht werden.

2. Von rassistischen Werktiteln und Strukturen der Universitäten

Um Entwicklungen innerhalb der Kunst, den Kunstinstitutionen wie auch der Ausstellungsgeschichte zu verstehen, sind Archive und Bilddatenbanken von unbestreitbarem intellektuellem Wert. Als Einrichtungen des öffentlichen Gedächtnisses reflektieren sie einen Aspekt demokratischer Aushandlungen von Geschichte(n). Daher erfordert deren Administration eine große Sorgfalt. Dies betrifft – gerade bei Bilddatenbanken – die Auswahl der Einträge wie auch deren Einordnung innerhalb der archivarischen Strukturen, sei es durch die Festlegung von Schlagworten oder durch deren Kategorisierung und Hierarchisierung mithilfe etablierter kunsthistorischer Fachbegriffe samt ihrem ideologischen Ballast. Damit die Bilddatenbank den Ansprüchen der Demokratie mit ihren Prinzipien der Gleichheit gerecht werden kann, besteht eine wichtige Aufgabe darin sie diskriminierungskritisch zu überprüfen. Diese Aufgabe wird umso dringlicher, da öffentliche Forschungs- wie auch Kulturinstitutionen Antidiskriminierungsmaßnahmen den vor zwei Jahrzehnten geforderten juristische Richtlinien der Europäischen Union (2000/43/EG) nicht in vollem Umfang nachgekommen sind. Eine kritische Diversität, also ein Hinterfragen der Ein- und Ausschlüsse auf struktureller wie institutioneller Ebene, bleibt in vielen Bereichen der Universität uneingelöst – bis hin zu der Bilddatenbank.

Dies gilt auch für die zu überarbeitende Version der Bilddatenbank IMAGE+. Ohne eine kritische Kontextualisierung wurden beispielsweise rassistische Begriffe aus den Bildtiteln von Kunstwerken übernommen. Da IMAGE+ nicht die Besitzerin der Bilder ist, die in sie einpflegt werden, können auch Bildtitel nicht ohne weiteres geändert werden. Aber sie kann sich an Kunstinstitutionen orientieren, die vor einigen Jahren die Titel ihrer Werke überdacht und diesen antirassistischen und dekolonialen Denkprozess zugleich zugänglich gemacht haben. Das Rijksmuseum in Amsterdam durchleuchtete vor wenigen Jahren seinen gesamten Bestand nach rassistischen und entmenschlichenden Begriffen aus der niederländischen Kolonialgeschichte. In der Folge wurde beispielsweise aus Jan Mostaerts „Porträt eines M-Wort“ [um nicht den Rassismus zu wiederholen, wird hier davonabgesehen, das Wort auszuschreiben] (1525–1530) das „Porträt eines afrikanischen Mannes“. Diesem Beispiel folgend veränderten wir die problematischen Einträge in IMAGE+. Die Auseinandersetzung zwischen Werk und Titel hat in der Kunstgeschichte eine Tradition. Die umfangreichen Umbenennungen verstoßen nicht gegen die Setzungen der Künstler*innen, da die meisten Werke vor dem 18. Jahrhundert ohne Titel waren und im Zuge der „Mobilität der Bilder“ (Ernst H. Gombrich)6 erst von Händler*innen und Notar*innen betitelt wurden. Erst später begriffen die Künstler*innen den Titel als integralen Teil ihrer Werke. Die Selbstgesetzlichkeit und Selbstständigkeit der Kunst wie auch die künstlerische Freiheit schützen diese Titel vor Änderungen. Dies betrifft unter anderem das Gemälde „Türkentücke“ von Christian Ludwig Attersee in dem der Künstler rassistische Stereotypen gegenüber Türken reproduziert. Um die Brisanz dieses Bildes zu verstehen, der auf eine verfemende Weisen einen Türken mit einem roten Fez zeigt, hilft ein Blick auf die jüngsten Debatten. Ein Beispiel aus dem Sommer 2020 wäre die öffentlichen Auseinandersetzungen um ein Gemälde des Künstlers Georg Herold aus dem Jahr 1981 in der Sammlungspräsentation des Städel Museums in Frankfurt am Main. Es zeigt einen weißen Mob, der einen Schwarzen Menschen jagt und diesen mit einem Ziegelstein bewirft. Im Werktitel führt es das N-Wort. Das Museum verteidigt das Gemälde explizit als ein „anti-rassistisches Werk“ und führt als ein Argument die künstlerische Freiheit an.

Der Verteidigung des Museums widerspricht die Kunststudentin Aniela [ihr Nachname ist nicht aus den Berichterstattungen zu entnehmen], die als einzige auf dieses Defizit aufmerksam machte. Statt dass das Museum Herolds Übertritt problematisiere, so Aniela, verteidige es die „sogenannte künstlerische Freiheit, der es Künstler*innen jahrhundertelang erlaubte, rassistische Stereotype nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern aktiv mitzugestalten und zu reproduzieren“.7 Dem Museum misslinge es, so die Einwände der Kritiker*innen, „das Thema Rassismus in der Kunst in seiner Sammlungspräsentation für Gegenwartskunst differenziert und vor allem mehrstimmig zu diskursivieren“.8 Die Kuratorin Mahret Ifeoma Kupka fragt angesichts des Umgangs des Städel Museums, für wen solche Sammlungspräsentationen gemacht seien, „[...] wenn die wenigen dargestellten schwarzen Körper, denen ich im Museum begegne, alle Opfer rassistischer Gewalt sind“.9 Rassismus zeigt sich nicht nur als ein konkretes, gewaltvolles und individuelles Fehlverhalten von Einzelnen, die vorsätzlich ausgrenzen, diskriminieren und dehumanisieren, sondern hat eine systemische Ebene, die über Einzelfälle hinausweist. Eingeschrieben in historisch etablierte Machtverhältnisse, prägt struktureller Rassismus die Gesellschaftsordnung: Sowohl die politischen und ökonomischen Strukturen des gesellschaftlichenSystems als auch die innerhalb dieses Systems bestehenden Rechtsvorstellungen. Der selben strukturellen Voreingenommenheit unterliegen die Institutionen der Gesellschaft, wie die unterschiedlichen Bildungseinrichtungen, Universitäten und Akademien. Die einzelnen Änderungen in einer Bilddatenbank leisten einen Beitrag zu einer antirassistischen Sensibilisierung, können aber den strukturellen Rassismus nicht beheben.

3. Zur praktischen Vermittlung und Umsetzung von Bildrechten

Ein zentraler Schwerpunkt von IMAGE+ ist die transparente Vermittlung von Bildrechten und daran anknüpfend die Frage nach der Zugänglichkeit digitaler Bildinhalte. In die überarbeitete Datenbank wird der rechtliche Status durch neue Eingabefelder wie Fotograf*in oder ein gesondertes Lizenzfeld, etwa für bereits gemeinfreie Werke, implementiert und hervorgehoben, sowie durch externe Tools ergänzt. Ziel ist dabei vor allem ein erhöhtes Bewusstsein für die rechtliche Ebene der verwendeten Inhalte auf Seiten der Nutzer*innen zu schaffen und den praxisorientierten Umgang zu erleichtern. Letzteres wird durch ein Manual zur sicheren Bildnutzung im wissenschaftlichen Kontext und durch zusätzliche Informationen und Verlinkungen gestützt, die sowohl die Beschränkungen als aber auch gerade die Möglichkeiten der Nachnutzung im Rahmen des Urheber*innenrechtsgesetzes (UrhG) aufzeigen. Im Vordergrund steht eine an den spezifischen Nutzer*innen orientierte usability zu gewährleisten, sprich verständliche und transparente Vermittlungskonzepte zu realisieren.

Neben den konkreten Richtlinien sind auch die fortlaufenden gesetzlichen Änderungen von Interesse, auf die hingewiesen wird. So ist die diesjährige Novellierung des UrhG10 im Hinblick auf die veränderte Regelung zur Nutzung von Reproduktionen bereits gemeinfreier Kunstwerke für Wissenschaftler*innen besonders relevant, da sie die oft prekäre Zugänglichkeit von Bildern in Teilen beheben könnte. Generell bleibt die im aktuellen Diskurs oft bemängelte Rechtsunsicherheit bei der Nutzung von Bildmaterial, wie etwa schon 2018 im Rahmen des Symposiums „Wem gehören die Bilder? Wege aus dem Streit um das Urheberrecht“ thematisiert wurde,11 jedoch bestehen, sodass die vorrangige Aufgabe in der Sensibilisierung der Nutzer*innen gegenüber der Thematik und der Kommunikation der rechtlichen Ausgangssituation liegt.

Auch in der parallelen Ausrichtung von IMAGE+ als Platform for Open Art Education stellen sich in Bezug auf die Zugänglichmachung geschützter Inhalte rechtliche Fragen, z.B. nach den Möglichkeiten als Distributor von Bildungsinhalten über die Grenzen einer einzelnen Bildungseinrichtung aufzutreten und Zugänglichkeit auf mehreren Bildungsebenen bzw. aus unterschiedlichen Funktionen (Studierende, Lehrende) heraus zu ermöglichen.

4. Ausblick: Platform for Open Art Education

Ziel von IMAGE+ ist, neben der Erfüllung qualitativer und wissenschaftlicher Standards, die Erweiterung der Bestände, um komplexe Entwicklungen innerhalb der Kunst und Kunstgeschichte abbilden zu können. Durch den Schwerpunkt auf die österreichische Kunstlandschaft forciert IMAGE+ die Kooperation mit österreichischen Institutionen und deren Archiven, um möglichst viel Bildmaterial in die Datenbank einzuspeisen und eine aktive Rolle in der Bereitstellung von Reproduktionen im wissenschaftlichen Kontext abseits des gängigen Kunstkanons einzunehmen. Angestrebt wird darüber hinaus die Implementierung in weiteren österreichischen Bildungseinrichtungen, um eine institutionsübergreifende Vernetzung zu ermöglichen und wegweisend für künftige Kooperationsmodelle zu sein.

Dabei bleibt in vielerlei Hinsicht die Herausforderung bestehen, sich für die Stärkung und Sicherung unabhängiger wissenschaftlicher Forschung einzusetzen.